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Janets Stillgeschichte

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Es war einmal eine junge Frau, die gebar ihr erstes Kind. Sie hatte natürlich im Vorfeld viel gelesen und schon einige Ratschläge erhalten, aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Schon im Krankenhaus klappte die Stillerei nicht, das Personal zeigte sich unmotiviert, und da das Baby sehr unruhig war, wurde es gegen den Willen seiner Mutter mit dem Fläschchen gefüttert. Sie versuchte es zu Hause noch über Wochen. Pumpte ab, schüttete weg. Das Baby trank keinen Tropfen Muttermilch. Sie war traurig, weinte viel, machte sich Vorwürfe. Auf Anraten ihrer Hebamme stillte sie nach sechs Wochen ab. Es tat ihr seelisch sehr weh. Sie wollte ihr Kind doch so gern selber ernähren und konnte nicht. Langsam fand sie sich damit ab und versuchte, die positiven Seiten der Flasche zu finden. Sie war unabhängiger, das Kind über 4 Stunden satt. Wollte sie mal weg, dann packte sie Wasser, Pulver und Flasche ein und mixte alles schweißüberströmt zurecht, wenn der Kleine Hunger bekam und schrie.

Sie sah manchmal in der Stadt stillende Mütter im Park sitzen und fragte sich, ob sie das auch so getan hätte, in aller Öffentlichkeit. Auf gar keinen Fall, entschied sie. Und überhaupt sahen die Kinder ja schon etwas älter aus. Da brauchten die doch keine Brust mehr. 6 Monate waren doch genug. Es stand ja überall so geschrieben. Und so wollte sie es auch machen, falls sie noch ein Baby bekommen sollte.

4 Jahre später war es soweit. Sie gebar ihr zweites Kind in einem Geburtshaus, in liebe- und respektvoller Atmosphäre. Das Baby wurde gleich angelegt und trank schon nach einer Stunde die erste Mahlzeit. 3 Stunden nach der Geburt war die kleine Familie wieder zu Hause, wohin die Hebamme in den nächsten Tagen täglich kam, manchmal auch mehrmals. Wie schon beim ersten Kind schoss die Milch sehr spät ein, erst am 5. Tag nach der Geburt. Aber sie legte das Baby trotzdem immer an jede Brust an und so bekam es die wertvolle Vormilch und zum Schluss noch etwas Fencheltee. Als dann endlich die Milch kam, hatte ihr Baby sofort einen 3-Stunden-Rhythmus, den es sehr lange beibehielt. Nachts wurden die Abstände immer länger. Das Baby schlief im Bett der Mutter und wurde problemlos im Schlaf gestillt, so das die Mutter trotz häufiger kurzer Unterbrechungen am Tag sehr ausgeruht und glücklich war. Sie stillte ihr Baby 6 Monate voll und immer nach Bedarf, egal wo und wann das Baby Hunger hatte, ob beim Arzt oder im Auto.

Zwischendurch wurde das Baby sehr neugierig und wollte wissen, was die Großen denn unter der Nase reinschoben. Es bekam einige Löffel Karotten zum Mittag. Das ging ein paar Tage so, dann war die Neugier gestillt, und das Baby bestand wieder auf alleinige Ernährung durch die Brust. Das ging 9 Monate so. Dann testete es sich nach und nach an festere Nahrung heran.

Heute ist Lilly knapp 14 Monate alt. Sie isst bei uns mit, am liebsten Käseschnitte, Nudeln oder Gurke. Das könnte es jeden Tag geben. Mit ihr gab es bis jetzt keinen Kampf ums essen. Sie isst mit, wenn sie will. An manchen Tagen mehr, an anderen weniger und sie wird wann immer sie möchte gestillt.

Stellt Euch mal vor: ein kleines ruhiges Dorf, von Bergen umgeben. Die Sonne scheint und die Vögel zwitschern. Alles ist gerade frisch erblüht, denn es ist Frühling. Da sitzt eine junge Frau auf der Holzbank unter der großen Linde vor ihrem 200 Jahre alten Haus. In ihrem Arm liegt ihre 14 Monate alte Tochter und trinkt an ihrer Brust. Die Leute im Dorf kennen dieses Bild schon und freuen sich, wenn sie unten die Straße entlang fahren. Sicherlich würden einige mit dem Kopf schütteln, wenn sie sehen könnten, was sie da macht. Aber es ist ihr soooo egal. Sie gab ihrem neugeborenen Baby die gesündeste Form der Milch, warum sollte sie dieses Erlebnis, dass mit so viel Liebe, Vertrauen und Geborgenheit verbunden ist, ihrer einjährigen Tochter vorenthalten? Kennt Ihr einen Grund? Ich nicht. Und wenn Ihr mal vorbeikommt, auf der Bank ist noch ein Platz frei.

 

© 2002 Janet

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