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Der Wert des Stillens nach dem 6. Lebensmonat - Abstillen in der Geschichte

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Elizabeth Hormann
(LLL-Leader / Vortrag beim 2. Aachener Stillkongress vom 10.-12. Juni 1994)

 

Die Frage, wann ein Kind abgestillt sein sollte, ist nicht neu. Diese Frage wurde schon vor vielen Jahrtausenden gestellt und unterschiedlich beantwortet. In Altgriechenland waren Kinder manchmal schon mit 6 Monaten abgestillt (laut Stillvertrag in Fides, Breasts, Bottles and BabiesS.354). Ähnliches weiß man von den Römern in Ägypten, obwohl dort das Stillen im allgemeinen variabler gehandhabt wurde, mit Abstillzeiten bis zu 36 Monaten (Ibid.) Es gab immer Fälle, in denen ein Kind zu früh abgestillt wurde, und durch viele Jahrzehnte hindurch wurden Kinder viel früher entwöhnt als von den Experten vorgeschlagen. Immerhin war eine Abstillzeit zwischen 18 und 36 Monaten sehr häufig. Merkwürdigerweise waren die Begründungen für ein frühes Abstillen den heute gegebenen ähnlich:

  • Nach einigen Monaten sei die Milch nicht mehr von guter Qualität (Fides S.369).

  • Langes Stillen sei psychisch irgendwie schädlich (Fides S.367)

 

Moderne Argumente für das Abstillen

Heute lauten die Argumente:

  • Muttermilch hat nicht genug Eisen und Vitamine, die ein wachsendes Kind in größerer Menge vom ersten Lebensjahr an braucht. (David Barker : Welt am Sonntag, 29.3.92)

  • (Es) entsteht eine Unterernährung bei zu langem Stillen (Ibid)

  • Ungewöhnlich lang ... und dabei häufig gestillte Kinder können an dem Bild der nursing bottle caries erkranken. (Monatsschr. Kinderheilkd. (1988) 136: 228-234)

  • Zu langes Stillen kann Herzleiden verursachen. (Barker)

  • Nach sechs (oder neun oder zwölf) Monaten wird das Kind zu abhängig, wenn es weiterhin gestillt wird.

  • Zu langes Stillen ist für die Sexualentwicklung schädlich, besonders bei Jungen (oder Mädchen).

  • Zu langes Stillen unterdrückt so lange die Ovulation, dass sich die Eierstöcke zurückbilden und die Mutter oft von alleine keinen Eisprung mehr hat. (Das habe ich in Ägypten gehört.)

  • Auch das Argument, dass Muttermilch mit Schadstoffen zu hoch belastet sei, ist nicht neu. Schon 1966 gab es eine große Aktion in den USA, um Müttern wegen DDT in der Milch vom Stillen abzuraten. Heute heißt es: Aus Vorsicht, doch ohne wissenschaftlich begründete Daten sind wir gezwungen, Empfehlungen zur Begrenzung der Stilldauer zu geben. (Dr. med. Jürgen Spranger, in General-Anzeiger Bonn, 26.3.92)

Aus den verschiedensten Gründen - ernährungsbedingten, kurz- und langfristigen gesundheitlichen, emotionalen und sozialen - wird behauptet, dass zu langes Stillen - was immer das heißt - schädlich sei.

 

UNICEF und WHO sprechen aus

Aber stimmt es, dass Muttermilch nach 4-6 Monaten nicht mehr wichtig, oder gar schädlich ist?
 WHO und  UNICEF glauben es jedenfalls nicht. In ihrer 1990 herausgegebenen gemeinsamen  Innocenti Declaration haben sie ganz deutlich nicht nur ausschließliches Stillen für 4 - 6 Monte , sondern auch das Stillen mit entsprechender Beikost für zwei Jahre oder länger fortzusetzen vorgeschlagen. Diese Vorschläge gelten weltweit, nicht nur in Entwicklungsländern.

 

Ernährung mit Muttermilch nach 6 Monaten

Was spricht für das weitere Stillen? Überraschend viel. Zwischen dem 6.-24. Lebensmonat beträgt die Muttermilchmenge z.B. rund 500 ml täglich. Sie kann also einen großen Teil der Kalorien, die ein Kind in diesem Alter braucht, liefern. Im Notfall kann die Milchmenge gesteigert werden, und auch ein Kind, das normalerweise Beikost isst, kann wieder ausschließlich mit Muttermilch ernährt werden. Ihr habt vielleicht solch eine Erfahrung gemacht, wenn Euer Stillkind krank wurde.

Nachdem in den ersten Monaten Beikost eingeführt worden ist, bleibt Muttermilch nach wie vor das wichtigste Element in der Ernährung des Kindes. Beikost ist - am Anfang - nur auszuprobieren, wird aber allmählich in letzten Quartal des ersten Lebensjahres zu einer wichtigen Nahrungsquelle. Muttermilch liefert 70 kcal. pro 100 ml - zweimal die Energiedichte einiger Abstillbreis (Bradley). Kinder im zweiten Lebensjahr können ihren Energiebedarf zu 31% durch Muttermilch decken. Stillkinder im Alter von 13-18 Monaten erhalten bei gleicher Nahrungsmenge 25% mehr Energie als nicht gestillte; ältere Kinder erhalten 17% mehr. Je nach Studie gibt es auch Hinweise darauf, dass Muttermilch noch mehr Energie im zweiten Lebensjahr liefern könnte - eine Studie aus Uganda machte deutlich, dass dort die Energiebedürfnisse in dieser Lebensphase durch Muttermilch zu 53% gedeckt wurden. Wenn man daran denkt, wie wenig viele Kinder im zweiten Lebensjahr essen - sie haben einfach keine Zeit; die Welt ist dafür viel zu interessant - sind diese Ergebnisse nur logisch. Wenn ein Kind vor dem zweiten Geburtstag abgestillt wird, braucht es selbstverständlich viel mehr feste Nahrung als vorher - laut einer Studie wurden die anderen Nahrungsmittel um 60% erhöht - und auch das reicht nicht immer aus. Unter Umständen kann ein abgestilltes Kind unter einem Energiedefizit leiden - ein Defizit um 28% laut einer Studie 1982. Eine andere Studie zeigte, dass nicht gestillte Kinder nur 84% der vorgeschlagenen Kalorieneinnahme hatten, während noch gestillte Kinder 108% der optimal erachteten täglichen Kalorienmenge zu sich nahmen.

 

Bioverfügbarkeit, Vitamine und Mineralien

Naja - aber Kalorien sind nicht unbedingt Ernährung. Allerdings. Die Kalorien der Muttermilch sind aber keine leeren Kalorien.
Muttermilch bleibt auch die wichtigste Quelle an hochqualitativem Eiweiß, Vitaminen und anderen Nährstoffen. (Helsing and King, 1982). Hochqualitativ und gut bioverfügbar!
Die interessante Frage ist nicht, wieviel eines Nährstoffes in der Milch enthalten ist. Eher wäre zu fragen: Ist der Nährstoff bioverfügbar? Es nutzt nichts, wenn die Nährstoffe nur da sind und das Kind nicht über sie verfügen kann. Der Eiweißgehalt der Muttermilch, obwohl am niedrigsten von allen Geschöpfen, ist immerhin mehr als ausreichend für gutes Gedeihen und Gehirnentwicklung und wird besonders gut absorbiert.

Im zweiten Lebensjahr deckt Muttermilch die Eiweißbedürfnisse zu 38%. Und die Geschichte mit Vitaminen und Mineralien ist noch erfreulicher. Der kindliche Bedarf an Vitamin A wird im zweiten Lebensjahr zu 100% durch Muttermilch gedeckt.
In Entwicklungsländern kann dies besonders wichtig sein. (Es wurde da festgestellt, dass nichtgestillte Kinder einem sechs- bis achtfach erhöhten Risiko an Xerophtalmie (einer Vitamin-A-Mangel-Erkrankung des Auges) zu erkranken, ausgesetzt sind, als gestillte Kinder. Der Schutz bleibt auch nach dem Abstillen erhalten.)

Eine tägliche Einnahme von 500 ml Muttermilch liefert 19 mg Vitamin C, 95% der Menge, die Kinder im zweiten Lebensjahr brauchen(Armstrong, 1987). Gegen Ende des ersten Lebensjahres ist die Vitamin C-Konzentration der Muttermilch 3,3 mal höher als im Blutplasma der Mutter.
Selbst wenn die Mutter erniedrigte Vitamin C-Werte hat, wird es in der Milch bis zu 6-12fach angereichert. Stillkinder erhalten so höhere Konzentrationen an Vitamin C als Kinder, die mit - mit Vitamin C angereicherter - künstlicher Babynahrung , Gemüse und Früchten ernährt werden.

Eisen wird im zweiten Lebensjahr zu 50% durch Muttermilch erhalten, Calcium zu 44%, Niacin zu 41%, Folsäure zu 26% und Riboflavin zu 21%.
Eisen ist typisch für die gute Bioverfügbarkeit der Inhaltsstoffe der Muttermilch. Muttermilch enthält zwar weniger Eisen als Kuhmilch. Aber aus der Muttermilch wird es zu rund 70% absorbiert, bei der Kuhmilch nur zu 10%, so dass ein Stillkind eigentlich besser mit Eisen versorgt ist als ein nichtgestilltes Kind, das erstens nicht so viel absorbieren kann und zweitens oft unter obdukten Blutungen im Darm, verursacht durch den Überfluss an nicht absorbierbarem Eisen leidet und daher auch oft Anämie hat.

 

Stillen und Karies

Die Behauptung, dass langes und häufiges Stillen, vor allem nachts, zu Karies führt, scheint kaum wissenschaftliche Begründungen zu haben. Das Bottle-mouth-syndrom kommt daher, weil die Milch, die ständig aus der Flasche tropft, sich um Gaumen und Zähne sammelt.
Weil das Stillen aber eine ganz andere Prozedur ist - die Brust liefert nämlich nur Milch, wenn das Kind aktiv saugt, und wegen der Position der Brustwarze viel weiter hinten im Mund und nicht im Zahnbereich, so dass sie schwerlich die Zähne umspülen kann -, ist so ein Zusammenhang höchst unwahrscheinlich.
Wenn ein Stillkind Bottle-mouth-syndrom hat, müssen wir nachfragen: Was erhält der Kind außer Muttermilch zu Essen oder Trinken? Wie ist die Zahnhygiene? Kann das Problem erblich bedingt sein?

 

Stillen und Herzleiden

Der Artikel über zu langes Stillen und Herzleiden, der vor ein paar Jahren in der Zeitung stand, hat Euch vielleicht auch erschreckt. Aber auch hier müssen wir genauer hinschauen. Die Studie bezieht sich auf Männer, die in den Jahren von 1911-1930 in der Grafschaft Hertfordshire (in England) geboren waren.
Teilweise waren die Studienobjekte schon tot, als die Studie begonnen wurde. Es gab eine statistische Verbindung zwischen Stillen (oder Nichtstillen) und Herzleiden. Laut dem Artikel Am schlechtesten schnitten die Flaschenkinder ab. Dann folgten die Brustkinder, die länger als zwölf Monate gestillt worden waren. Die beste Gesundheit hatten die Brustkinder, deren Mütter das Stillen mit oder vor dem ersten Geburtstag des Babys eingestellt hatten (Welt am Sonntag, 29.März 1992). Der Forscher verglich ihre Krankengeschichten mit den vorhandenen Angaben über ihre Ernährung während der ersten zwei Lebensjahre. Und darin liegt ein großes Problem. Woher haben sie solche Informationen? Die Studienobjekte - die noch lebten - konnten sich selber nicht daran erinnern; die Mütter waren, bis auf vielleicht ein paar, schon tot. Und die Frage der Ernährung nach zwei Jahren wurde überhaupt nicht berücksichtigt.
Eine solche retrospektive Studie ist oft gefährlich, und es ist fast unmöglich, sie als wissenschaftlich zu bezeichnen. Höchstens kann sie uns Hinweise dazu geben, künftigen prospektiven Studien mit besser begründeten wissenschaftlichen Informationen beliefern zu können.

Andere Forschung ergab ganz andere Ergebnisse in bezug auf Cholesterin. Cholesterin ist für die Bildung und Entwicklung der Hirnhaut und des zentralen Nervensystems ganz wichtig. Künstliche Babynahrung, die mit Stolz als cholesterinfrei erklärt ist, ist also für das Baby nicht besonders gesund. Stillkinder haben zwar einen höheren Cholesterinspiegel als Flaschenkinder, aber mit drei oder vier Jahren ist das ausgeglichen. Es gibt eine Hypothese, dass die Cholesterinaussetzung im früheren Leben den Stoffwechsel ändert und es später einfacher macht, mit Cholesterin umzugehen. Also würde die Gefahr gesenkt, später an Herzproblemen zu leiden. Zur Zeit bezieht sich diese Hypothese aber auf Tierstudien und kann nicht auf Menschen übertragen werden. Aber Tatsache ist, dass die American Academy of Pediatrics vorschlägt, die Cholesterineinnahme in den ersten zwei Lebensjahren nicht zu beschränken, weil das Kind sonst nicht gut gedeihen kann. Weiter, um festzustellen, wie die genaue Auswirkung des Cholesterins auf Herzleiden ist, muss die Gesundheit der gleichen Leute über 40 Jahre verfolgt werden - und auch dann wäre es schwierig, die Auswirkung des Cholesterins von anderen Faktoren zu unterscheiden. (Jacqueline Ziomek, American Baby, April 1990)

 

Immunfaktoren

Immunfaktoren spielen eine weitere wichtige Rolle. Früher wurde angenommen, dass nur im Kolostrum sehr hohe Anteile an Immunfaktoren bereitständen, die sich im Verlauf der Laktation zurückbilden würden und nach sechs Monaten nur noch von geringer Bedeutung wären. Heute ist bekannt, dass die Immunglobulinmengen nach dem sechsten Monat ansteigen, offensichtlich als Reaktion auf die absinkende Milchmenge. Mit 20 Monaten entspricht der Spiegel von IgA und IgG der Höhe, die nach einer Laktationsdauer von zwei Wochen gemessen wurde. Wenn wir darüber nachdenken, ist es auch ganz logisch, dass einige Schutzfaktoren in dieser Zeit steigen, weil Kinder ab sechs Monaten sehr mobil werden. Sie kommen überall hin und stecken die unmöglichsten Dinge in den Mund. Sie brauchen so viel Schutz wie wir ihnen anbieten können!
Dieser Schutz erfolgt durch verschiedene Immunfaktoren, darunter:

  • Lysozym, (ein unspezifischer antimikrobieller Faktor) wird in Muttermilch angereichert und erreicht in einigen Fällen nach 12 Monaten die gleichen Mengen wie im Kolostrum. Nach neueren Untersuchungen weiß man, dass es bis zum 25. Lebensmonat des Kindes ansteigt und erst dann abfällt.
    1 ml Muttermilch enthält rund 4000 lebende Zellen (überwiegend Lymphozyten und Makrophagen), die das Wachstum von Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten hemmen.

  • Der Bifidusfaktor in der Muttermilch fördert nach wie vor das Wachstum des Lactobacillus Bifidus im kindlichen Darm, so dass sich Staphylokokken gar nicht erst ausbreiten können.

  • Interferon, ein antiviraler Faktor, und Lactoferrin, das durch seine Eisenbindung Wachstum von E.coli, Staphylokokkus aureus und einigen Candidapilzen verhindert, zeigt kontinuierlich ansteigende Werte.

Wie wichtig ist dieser Aspekt für ein Stillkind über sechs Monaten? Sehen wir uns ein paar Studien an.
Hier ist die Studie von Chandra Kanada sehr interessant, weil seine Studienobjekte gesunde Kinder der Mittelklasse in einem gut entwickelten Industrieland waren. 60 Kinder wurden über einen Zeitraum von 24 Monaten untersucht. Im Hinblick auf drei übliche Erkrankungen fand er erhebliche Unterschiede bei deren Auftreten bei gestillten und künstlich ernährten Kindern:

  • Atemwegserkrankungen: auf 10 gestillte Kinder kommen 23 Flaschenkinder

  • Durchfälle: auf 10 gestillte Kinder kommen 35 Flaschenkinder

  • Mittelohrentzündungen: auf 10 gestillte Kinder kommen 95 Flaschenkinder

Sämtliche Studien deuten darauf hin, dass das Nichtstillen in Industrieländern (erhöht) das Risiko für Erkrankungen der unteren Atemwege und des Mittelohres um mehr als das Doppelte und für Durchfallerkrankungen um das 3- bis 4fache erhöht. Auch im zweiten und dritten Lebensjahr bleibt ein gewisser Schutz, sogar bei den Kindern, die schon abgestillt worden sind.
Diese Erkrankungen verlaufen in Industrieländern üblicherweise nicht tödlich, verursachen aber eine Menge Beschwerden und schränken die Lebensqualität ein. Studien in Entwicklungsländern weisen auch auf die besondere Wichtigkeit des längeren Stillens hin.
Nach der Einführung fester Nahrung sind auch Stillkinder in Entwicklungsländern wegen unhygienischer Umstände für Durchfall anfällig. In Bangladesch wurden noch gestillte Kinder und nicht gestillte Kinder zwischen 6 und 35 Monaten mit Durchfall verglichen. Die Energieaufnahme bei nicht gestillten Kindern fiel um 40%, während sie bei gestillten Kindern fast unverändert blieb. Die gestillten Kinder bekamen auch 2,5 mal so viel Eiweiß wie die nicht gestillten.
Bei Durchfall ist ein Appetitverlust häufig. Doch viele Stillkinder trinken sehr gerne, auch wenn sie sonst keinen Appetit haben. Es wird vermutet, dass das hochqualitative Eiweiß in der Muttermilch dazu führt, dass ein krankes Kind wieder Appetit auf Kohlenhydrate hat, die für die Gewichtszunahme so wichtig sind (Armstrong, 1987).
Nicht überraschend ist auch das Ergebnis, dass Stillkinder weniger Zeit im Krankenhaus verbringen müssen - wenn es überhaupt so weit kommt - als nicht gestillte Kinder.
Es gibt auch Anzeichen dafür, dass das Stillen Schutz bietet vor:

  • Diabetes,

  • kindlichen Krebserkrankungen (besonders Lymphomen),

  • Morbus Crohn.

Und bei vielen Kindern mit metabolischen oder allergischen Krankheiten treten die Symptome erst beim Abstillen oder drastischer Einschränkung des Stillens auf.

Hinreichend bekannt und erwiesen ist, dass Stillkinder weniger unter Allergien leiden. Eine Studie machte deutlich, dass bei Stillkindern aus allergiefreien Familien keine Allergien auftraten, während einige Flaschenkinder aus allergiefreien Familien Allergien entwickelten. Je früher ein Kind Fremdeiweiß erhält, umso früher und stärker entwickeln sich Allergiesymptome. Empirische Daten zeigen, dass Stillen diese Symptome mindert oder sogar vermeidet. Es wurde beobachtet, dass Kinder aus Allergikerfamilien oft erst im Alter von 9 - 12 Monaten die Einführung von Beikost mit einer begrenzten Anzahl anderer Nahrungsmittel akzeptierten und dennoch mit Muttermilch bestens gediehen.
Diese Information ist weit bekannt, doch die Konsequenz daraus zu ziehen, fällt vielen Ärzten ganz schwer. Eine Ausnahme habe ich selber erlebt. Trotz Vollstillen und anderer allergievorbeugender Maßnahmen entwickelte eines meiner Kinder eine Familienkrankheit - Asthma. Als das Kind zwei Jahre alt wurde, besuchten wir einen Allergologen. Er sah in den Unterlagen, dass das Kind noch gestillt wurde. Wunderbar!, sagte er. Wenn Sie sich die Mühe geben könnten, das Kind noch zwei Jahre zu stillen, wäre es das Allerbeste, was Sie für seine Gesundheit tun könnten. Ich bin vor Ãœberraschung fast vom Stuhl gefallen! (Und wir haben es tatsächlich geschafft, so lange zu stillen.)

 

Die Vorteile des langen Stillens für die Mutter

Langzeitiges Stillen hat auch für die Mutter viel zu bieten. Das Prolaktin, das für die Milchproduktion wichtig ist, dient auch dazu, sie zu beruhigen. Mütter mit noch gestillten Kleinkindern gehen mit ihren Kindern oft gelassener um, und das Stillen ist auch eine Strategie, das Kind zu beruhigen - nicht unwichtig in der Trotzphase.

Prolaktin spielt auch bei der Unterdrückung der Menstruation während der Stillzeit eine Rolle. Solange der Prolaktinspiegel hoch bleibt, wird ein Eisprung verhindert. Die Studien widersprechen sich teilweise, aber fest steht, dass die Unterdrückung des Eisprungs mit Häufigkeit und Dauer des Stillens zusammenhängt. In einigen Studien reichen anscheinend 6 Stillmahlzeiten und 60 Minuten Stillen in 24 Stunden aus, um den Eisprung zu verhindern. Sicherer - und sowieso passender für die meisten Stillkinder - sind:

  • mindestens 12 Mahlzeiten in 24 Stunden während des ersten Lebensmonats,

  • nächtliches Stillen (Prolaktinspiegel ist nachts höher),

  • nach dem ersten Lebensmonat Stillen nach Bedarf, aber mindestens 6-8 mal in 24 Stunden,

  • eine Stilldauer von mindestens 80 Minuten in 24 Stunden.

Mit so einem Stillmuster ist die Chance eines Eisprungs äußerst gering - etwa 1,8% vor der ersten Menstruation (Lawrence, 453) -, und viele Frauen können mit 18 Monaten Amenorrhoe rechnen (Pryor, 42-43).

Die Forschung und die Erfahrung in den Stillgruppen bestätigen dies generell. Die Behauptung aber, dass der Eisprung dann nicht mehr von alleine kommt, ist meines Erachtens nicht bestätigt. Es gibt zwar Frauen, die ihre Menstruation nicht haben, bis das Kind endgültig abgestillt wird, und den Frauen, die früher Probleme mit dem Eisprung gehabt haben, geht es nicht unbedingt nach einer Schwangerschaft und Stillzeit besser. Dass es generell ein Problem wird, lässt sich aber weder durch die Forschung, noch durch die praktische Erfahrung bestätigen.

Langzeitstillen hat für die Mutter noch einen Vorteil. Gemäß Forschungsberichten aus den USA ist das Brustkrebsrisiko 43% geringer bei Frauen, die insgesamt zwei Jahre gestillt haben und nach chinesischen Berichten um 60% vermindert, wenn Frauen sechs Jahre (bei mehreren Kindern!) gestillt haben gegenüber Frauen, die nicht stillten. Jeder Monat Stillzeit reduziert das Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken, um 2,4% für Frauen unter 55 Jahren. Und das Stillen erhöht die Calciumeinlagerung in der Lendenwirbelsäule um 1,5% pro gestilltem Kind. Das bedeutet weniger Osteoporose im Alter.

 

Warum wird langzeitiges Stillen nicht unterstützt?

Warum gibt es dann, trotz der vielen Vorteile, so wenig Unterstützung für das Stillen über die ersten 6, bzw. 12 Monate hinaus?
Teilweise sind die Vorteile noch nicht verbreitet, aber zentral bei den Gegenargumenten sind die Rückstände in der Muttermilch. Dieser Einwand geht teilweise so weit, dass total vom Stillen abgeraten wird. Die Aufforderung der Initiative gegen die Verletzung ökologischer Kinderrechte auf einen fünf- bis zehnjährigen Stillverzicht ist ein ganz extremes Beispiel dafür (AFS Rundbrief, April 1992, 40). Aber auch die Aussagen der Gesundheitsämter haben Mütter beunruhigt. Und trotz der jüngsten Aussage des deutschen Bundesgesundheitsministeriums, neben der allmählichen Steigerung des Zufütterns auch nach dem sechsten Lebensmonat weiter nach Bedarf zu stillen, gibt es immer wieder Behauptungen, dass Kinder durch längeres Stillen zu Schaden kommen werden. Laut WHO gibt (es) keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass unerwünschte Auswirkungen bei Säuglingen auftreten durch die Aufnahme dieser Schadstoffe durch die Muttermilch. (Akré, 49)
Zum Rat, nur eine begrenzte Zeit zu stillen, um die Ansammlung der fettlöslichen Schadstoffe bei Säuglingen zu vermeiden, sagt die WHO weiter: Auf Grund der heutigen wissenschaftlichen Kenntnisse scheint eine solche Maßnahme nicht gerechtfertigt. (Ibid.).
Wichtig ist, dass kein einziger Fall bewiesen worden ist, bei dem ein Kind wegen Schadstoffen in der Muttermilch geschädigt worden ist. Sogar in Fällen, in denen die Schadstoffe wesentlich höher als normal sind, wie z.B. in Südvietnam, wo der Herbizidgehalt der Muttermilch 30.000 mal so hoch war wie der der Muttermilch in den USA, konnten die Wissenschaftler keine kurz- oder langfristigen Schäden feststellen. Einige dieser Säuglinge sind heute selber stillende Mütter, und der Schadstoffgehalt in deren Milch spiegelt den der heutigen Umgebung wieder, nicht den ihrer Kindheit (Pryor, 89).

Schäden durch künstliche Babynahrung sind aber nicht nur wahrscheinlich, sondern auch mehrfach bewiesen worden. Eine Studie in den Niederlanden, die Babynahrungsproben aus mehreren Ländern untersuchte, zeigt, dass 52% mit Bakterien verunreinigt waren (BF Briefs, 12/88). Antibiotika und Hormone in unerlaubten Mengen treten immer wieder in Babynahrung, die auf Kuhmilch basiert, auf. Eine Studie in den USA zeigte, dass 78% der 1200 Milchproben mit organochlorhaltigen Präparaten belastet waren (Minchin, 26).
Das Wasser, mit dem das Babynahrungspulver vermischt werden muss, kann auch problematisch sein. Stoffe wie Nitrate haben schon zum Tode von Säuglingen geführt (Pryor, 89). Klar ist, dass künstliche Babynahrung mit sehr vielen beweisbaren Risiken verbunden ist, während das Stillen überwältigende beweisbare Vorteile hat und dabei ein Risiko, das rein theoretisch ist.
Will ich damit sagen, dass Schadstoffe in der Muttermilch überhaupt nicht interessant sind? Keineswegs. Es ist eine große Schande, dass auch die beste Säuglingsnahrung belastet ist, und wir müssen uns sehr viel Mühe geben, um unsere Umwelt wieder sauber zu machen. Helga Pasch hat (für die  Aktionsgruppe Babynahrung AGB e.V. in Aachen) ganz schön darüber geschrieben, wie das Nichtstillen zur Belastung der Muttermilch mit Umweltgiften beiträgt. Ich werde es hier nicht zitieren, weil es als Ganzes gelesen werden muss. Hauptpunkt ist, wir tun unseren Kindern und der Umwelt keinen Gefallen, wenn wir nicht - oder nur eingeschränkt - stillen. Weiterhin können wir stillende Mütter mit der Information beruhigen, dass:

  • die meiste Schadstoffübertragung in der Schwangerschaft und nicht in der Stillzeit stattfindet (Ibid),

  • weniger Schadstoffe durch die Milch übertragen werden, als in der Blutbahn der Mutter vorhanden sind (Pryor, 88),

  • sich im Laufe der Stillzeit die Schadstoffbelastung verringert,

  • man mit bewusster Ernährung vermeiden kann, dass noch zusätzliche Schadstoffe aufgenommen werden.

In einer anderen Gesellschaft bräuchten wir vielleicht dieses Thema gar nicht zu diskutieren. Das Langzeit-Stillen bis zwei oder drei Jahre ist seit einer Ewigkeit die Norm gewesen. Wir - mit unserem Gedanken, ob es eigentlich gut sein kann - sind die, die aus der Reihe fallen. Die Vorteile für Mutter und Kind sind mehrmals bewiesen worden, die vermuteten Nachteile dagegen nicht. Ob ein bestimmtes Mutter-Kind-Paar so lange stillen will, ist eine andere Frage, die nur in der Familie - ohne Druck von Ärzten, Medien, Nachbarn, Verwandten oder sonst jemand - entschieden werden soll.
Das Stillen ist eine ganz intime Zweierverbindung - vielleicht die schönste, die es in dieser Welt gibt. Eine frühzeitige Unterbrechung dieser schönen Zeit wird für immer mit Trauer in Erinnerung bleiben. Fortgeführt zu einem befriedigenden Ende, bleibt das Stillen für Mutter und Kind eine der schönsten Erinnerungen im Leben.

 

© 1994-2002 Elizabeth Hormann

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