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Von der Brust an den Familientisch

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Auch wenn uns die Babynahrungsindustrie immer weiss machen will, dass Flaschenmilch und Gläschen zum Alltag mit Babys und Kleinkindern gehören und dass das schöne, friedliche Stillleben nach sechs Monaten vorbei ist, muss das überhaupt nicht der Fall sein. Ich möchte dazu die Geschichte unseren kleinen Sohnes, unterdessen 2,5 Jahre alt, erzählen:

Seit seiner Geburt hat er rund um die Uhr, tags und nachts nach Bedarf gestillt. Der Einfachheit halber schlief er bei uns im Bett. So wurde ich schon wenige Wochen nach seiner Geburt nicht mehr ganz wach, konnte ihm im Halbschlaf die Brust anbieten und schlief gleich weiter. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie ausgelaugt und müde ich gewesen wäre, hätte ich die ganzen Monate über mehrmals nachts ins Babyzimmer laufen müssen, um ihm die Brust zu geben. Mit der Zeit wurde ich ein paar Sekunden vor ihm wach, merkte, dass er stillen wollte, legte ihn an, und er trank sich gleich wieder in den Tiefschlaf.

Als er rund sechs Monate alt war, fing ich an, ihm bewusst Zugang zu verschiedenen Nahrungsmitteln auf meinem Teller zu bieten. Sein Interesse hielt sich arg in Grenzen. Er stillte weiter voll, bis er zehn Monate alt war. Erst dann fand er Interesse an meinem Essen, wobei er aber maximal in homöopathischen Mengen aß. Ich stillte ihn nach wie vor voll, er matschte mit dem Essen, schaute es sich genau an, ließ es auf den Boden fallen, beobachtete, wie es sich auf meinem Pulli verteilen läßt und unterließ es bewusst, sich etwas davon in den Mund zu schieben. Aber er entwickelte Interesse am Essen, das war die Hauptsache.

Diese Phase des Essen Lernens sah ich als Erfahrung seiner fünf Sinne: Er schmeckte und roch das Essen, testete seine Konsistenz, sah Farbe und Form der Lebensmittel und hörte, wie es platsch machte, wenn es auf den Boden klatschte.

Wenige Tage nach seinem ersten Geburtstag machte er einen riesigen Schub: Auf einmal schlief er die ganze Nacht durch, fing an zu laufen, aß richtig am Tisch mit und bekam seinen dritten Zahn. Auch in seinem Charakter machte er eine unglaubliche Entwicklung: Mein ehemals scheues und zurückhaltendes Kind mit relativ starkem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit verließ meinen Schoß und zog aus in die große Welt.

Auf dem Hintergrund des Continuum Concepts bin ich überzeugt, daß er zu diesem Zeitpunkt sein ganz individuelles, babyhaftes und natürliches Saugbedürfnis und das Bedürfnis nach sehr viel Nähe zu einem guten Teil befriedigt hatte. Er war von da an bereit, sich von mir und der Brust zu entfernen, ohne Verlustangst zu erleiden oder Angst vor Fremdem zu haben. Er wusste, dass er nach wie vor jederzeit an die Brust durfte, hatte aber dieses Urvertrauen in unsere Beziehung, so dass er sich lösen konnte, um die Welt zu entdecken.

Schon ein halbes Jahr später sah es bei uns so aus, dass unser kleiner Mann tagsüber gerne am Familientisch naschte und weiter fleißig stillte. Unsere Stillbeziehung hat sich durch die Beikost dahingehend verändert, dass er zwischenzeitlich sogar öfter die Brust nahm als noch im ersten Lebensjahr. Die Bedeutung der Brust hatte sich verändert, ist vielschichtiger und facettenreicher geworden: Sie ist seit Ende seines zweiten Lebensjahres für ihn nicht mehr Hauptnahrungsquelle, sondern Trost, Rückhalt, Schmusen, Ruhepol, Geborgenheit und Kuscheln. Gegessen wird am Tisch, an der Brust gibt es die Nachspeise und den Snack für zwischendurch. Tut er sich arg weh, was kaum vorkommt, ist er müde oder frustriert, weil er die Eisenbahn von seinem großen Bruder nicht umbauen darf, kommt er zu mir, zupft an meinem T-Shirt und sagt mir, daß er an die Brust will. Wie liebe ich diese Geste der Nähe! Es ist mir selbst nach 2,5 Jahren nicht lästig, das T-Shirt hoch zu schieben und zu stillen. Im Gegenteil, ich finde Ruhe im Alltag mit zwei Kindern und dem dritten unter dem Herzen, setze mich zu ihm auf den Boden und beschmuse mein Kind, während es an der Brust is(s)t.

Ich werde meinen Sohn die Brust solange lassen, bis er selbst davon Abschied nimmt. Aktives Abstillen meinerseits kommt für mich nicht in Frage, er soll selbstbestimmt entscheiden können, wann er was zu sich nimmt. Stillte er tageweise wieder voll, war das in Ordnung. Wollte er mal ein paar Tage lang eher weniger an dir Brust, war das auch ok.

Ich denke, so konnte er kompetent und intuitiv den Zugang zum Essen finden und zu sich selber bewahren. Er durfte immer selber entscheiden, was in seinen Magen kam. Ich habe nie an dieser Art, von der Brust an den Familientisch zu gelangen, gezweifelt, auch wenn einem nur zu viele Leute weismachen wollen, dass ein Baby nach sechs Monaten unbedingt Beikost essen müsse, weil es sonst nicht mehr gedeihe, weil es sein Wachstumspotential nicht ausschöpfen könne, weil es einen Eisenmangel erleiden würde, weil es sich nicht gehöre, weil es eine schwer durchbrechbare Abhängigkeit schaffe und so weiter.

Bester Beweis für diesen Weg ist mein großer Sohn, unterdessen 4,5 Jahre alt, der gerne gesundes Essen zu sich nimmt, fast alles isst und noch nie Anlass dazu gab, sich Sorgen um seine Essgewohnheiten zu machen. Im Gegenteil: ich bin der Meinung, dass man sich viel zu schnell Sorgen macht, dass ein Kind zu wenig oder zu ungesund isst. Läßt man Kinder gewähren und stillt nicht aktiv ab, womöglich noch zu einem Zeitpunkt, wo Kinder noch ein naturgegebenes starkes Saugbedürfnis haben, finden sie einen guten Weg, sich gesund zu ernähren. Durch die Muttermilch ist auch über die magische Sechsmonats-Grenze hinaus der Nährstoffbedarf gedeckt, alles Zusätzliche ergibt sich von alleine. (Ich spreche hier von reif geborenen, gesunden Kindern.) Wie wenn auf den Stichtag sechs Monate nach der Geburt der Eisenhaushalt erschöpft und die Muttermilch zu Wasser geworden wäre ...

Auch wenn uns durch Werbung in allen Medien,unterdessen auch im Internet, die Empfehlung als Realität aufgetischt wird, Kinder brauchen Flasche im zweiten Lebenshalbjahr, müssen gesalzene, gewürzte und pürierte Menüs im Gläschen bekommen, welche oft in Geruch und Konsistenz Hundefutter ähneln, oder man müsse zumindest dem essunwilligen Kind die Beikost nach dem vollendeten sechsten Lebensmonat nachhaltig unter die Nase halten, im Sinne von: das Kind dazu erziehen, Beikost zu sich zu nehmen, gibt es keinen stichhaltigen Grund, sich daran zu halten.

Es gibt nichts einmaligeres als Langzeitstillen - die Veränderung einer Stillbeziehung so intensiv zu erleben - und gemeinsam am Tisch zu essen, dedes Familienmitglied wie es mag und reif dazu ist. Wie unpraktisch, aufwendig und wenig förderlich für ein Gemeinschaftsgefühl in der Familie ist es doch, einem Kind immer extra Essen bereit zu stellen, es alleine essen zu lassen, um sich danach selber noch kurz was zu kochen oder ständig hinter dem Kind her zu sein, damit es eeeeeeeendlich mal etwas isst. Gerade diese mancherorts geradezu propagierte falsche Vehemenz, dem Kind, welches noch nicht reif dazu ist, Beikost anzubieten, stelle ich mir äußerst nervend und quälend für alle Familienmitglieder vor. Intuitives Stillen und ein offener Familientisch sind so einfach, praktisch und familienorientiert, ich möchte diesen Weg nicht missen!

 

Barbara

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