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Der Bergführer

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Ich habe mal versucht, ein Bild zu finden, um zu beschreiben, wie ich meine Rolle als Mutter sehe, und womit ich Vorbild sein möchte. Dabei bin ich auf das Bild des Bergsteigens gekommen:

Das Kind will auf den Berg, der Bergführer will ihm helfen, das zu bewältigen. Das Kind verliert vielleicht manchmal das Ziel aus den Augen, der Weg kommt ihm endlos vor, es ist frustriert, weil etwas immer noch nicht gut funktioniert oder es möchte einfach nur eine Pause auf der Blumenwiese machen, obwohl du gerne weiterklettern möchtest: Aber trotzdem ist es immer ein gemeinsames Ziel.

Der Bergführer hat die Verantwortung. Er weiß, wo es hingeht, er kennt das Ziel. Der Bergführer ordnet sich nicht dem Willen der Bergsteiger unter, aber er ist sich seiner Führung so sicher, dass er problemlos Kompromisse machen kann, ohne die Führung aufzugeben:
Wenn der Bergsteiger sagt, er möchte gerne die Nordwand hochsteigen, dann kann der Bergführer sagen:

  • "Das ist gar kein Problem, das können wir gerne machen."

  • "Wenn das Wetter so bleibt, können wir das machen."

  • "Die Strecke ist wirklich sehr anstrengend, wir würden 4 Stunden länger unterwegs sein, möchtest Du das wirklich?"

Bis zu diesem Punkt ist es für den Bergführer offensichtlich okay, und er würde dem Wunsch seines Kunden folgen. Aber es gibt eben auch die Fälle, wo der Bergführer sich nicht umstimmen lassen sollte:

  • "Ich muss morgen weiter bergsteigen, und das wäre mir dann heute zu anstrengend."

  • "Die Strecke ist zu schwierig, ich kann die Verantwortung dafür nicht übernehmen."

  • "Ich verstehe, dass Dich das reizt, aber ich habe dabei einfach kein gutes Gefühl. Ich möchte, dass wir die andere Strecke nehmen."

Der Bergführer weiss, welcher Weg zum Gipfel führt, er kennt aber auch alternative Wege, falls das nötig sein sollte. Er ist sich seiner Kompetenz als Führer sicher und geht davon aus, dass seine Bergsteiger dass tun, was er sagt. Er möchte aber auch, dass seine Schützlinge sich bei ihm wohl fühlen und versucht deshalb, so viele ihrer Wünsche wie möglich zu erfüllen und für alle Probleme Lösungen zu finden mit denen alle gut Leben können. Er kann seine Schützlinge einschätzen, respektiert ihr Wesen und ihre Fähigkeiten und richtet sich nach dem schwächsten Glied in der Kette. Er fühlt sich verantwortlich, aber er läßt allen die größtmöglichste Freiheit. Wenn aber Gefahr droht oder jemand leichtsinnig wird, würde er hart durchgreifen, um alle wieder heil nach unten zu bringen.

Die Bergsteiger dagegen sind dankbar, wenn sie einen Bergführer haben, der eine natürliche Autorität hat und genau diese Sicherheit ausstrahlt: "Ich habe alles im Griff, ich führe Euch durch dieses ungewohnte, neue und oft schwierige Gebiet. Ich weiss, wo das Ziel ist. Ich sorge für Euch, wenn es wichtig wird. Ihr könnt beruhigt sein und den Weg geniessen. Entspannt Euch und vertraut mir."

Aber wehe, man spürt bei dem Bergführer Unsicherheit oder es häufen sich nicht nachvollziehbare Entscheidungen, und man fängt an der Kompetenz des Bergführers zu zweifeln ... Da fängt man an, sich unwohl zu fühlen. Die lockere Atmosphäre wird angespannt, und man ist immer dabei, den Bergführer im Auge zu behalten. Man fängt an, ihn zu prüfen und zu testen, weil man sich endlich wieder gut aufgehoben und nicht mehr so allein gelassen fühlen möchte.

Übrigens verwirklicht der Bergführer noch ein CC-"Ideal", nämlich das der Passivität. Er lässt seine Schützlinge machen, solange es geht. Nur im Notfall mischt er sich in ihre Handlungen ein. Und das erwarten die Bergsteiger auch, sie wollen ja nicht bevormundet und gegängelt werden.

Wenn ich zum ersten Mal in meinem Leben bergsteigen müsste, würde ich mich sehr freuen, wenn der Bergführer mir Hilfestellungen gibt, wie ich mich richtig verhalten soll. Es ist immer leichter, sich etwas gleich richtig anzugewöhnen, als seine Gewohnheiten zu ändern. Dabei möchte ich natürlich von dem Bergführer nicht angeschnauzt oder bevormundet werden, denn ich gebe mir ja wirklich Mühe, auch wenn ich natürlich immer wieder etwas falsch mache, aber ein freundlicher Hinweis ist immer willkommen.

Jeder Bergführer hat einen anderen Charakter und die Dynamik der Gruppe ist immer unterschiedlich. Und jeder hat seinen eigenen Berg und seine eigene Route. Was für eine Besteigung des Mount Everest richtig ist, kann für den Bungsberg (der höchste Berg Schleswig Holsteins ;-)) völlig falsch sein...

© 2002 Stine

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